Hallo ihr alle,
nun melde ich mich nach langer Zeit mal wieder. Ich bin die Tochter einer von ALS betroffenen Mutter. Meine Mutter durfte letzten Samstag im Alter von 70 Jahren ziemlich genau zwei Jahre nach ihrer ALS-Diagnose von dieser Welt gehen. Nach dem mühsamen Schlucken einer Tablette mit Joghurt wurde sie innerhalb weniger Sekunden bleich und rührte sich nicht mehr. Die Sanitäter versuchten noch eine Reanimation, aber ohne Erfolg. So erschüttert wir alle über dieses jähe Ende sind, so dankbar sind wir auch dafür, dass es für meine Mutter ein sehr rascher Prozess war ohne offensichtlichen Kampf. Seit einem Jahr war es ihr sehnlichster Wunsch, endlich sterben zu dürfen. Nun ist sie von ihrem Körper erlöst und hoffentlich an einem schönen Ort, an dem es ihr gut geht.
Ich habe während der vergangenen zwei Jahre mit großem Interesse euere zahlreichen Beiträge gelesen und so viele wertvolle Anregungen bekommen, die meine Mutter leider nicht annehmen konnte und wollte. Deshalb habe ich mich irgendwann aus dem Forum zurückgezogen. Ich habe großen Respekt vor all denjemigen von euch, die an dieser scheußlichen Krankheit nicht verzagen, sondern weiterhin ihr Leben aktiv in die Hand nehmen und alle Möglichkeiten ausschöpfen, um sich so viel Lebensqualität wie möglich zu erhalten! Und ich möchte euch ehrlich ermutigen, auf diesem Weg zu bleiben! Das ist nicht nur für euch selbst, sondern auch für euere angehörigen von unermesslichem Wert.
Nicht nur für meine Mutter, sondern auch für meinen Vater und mich waren die letzten beiden Jahre schrecklich. Und dabei war die Verweigerungshaltung meiner Mutter weitaus belastender als die Diagnose ALS. Sie hatte die bulbäre Form, verlor 2021 die Sprache, 2022 die Fähigkeit feste Nahrung und Flüssigkeit zu sich zu nehmen, und 2023 verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand erheblich. Die Diagnose traf meine Mutter in bereits zermürbter Verfassung nach jahrelangem chronischen Kopfschmerz. Sie hatte nicht mehr die Energie, um sich mit der ALS auseinanderzusetzen. Daher mache ich ihr keinen Vorwurf, sondern schildere nur, welche Auswirkungen das hatte. Sicher konnte sie nicht anders. Das Schlimmste war für uns, dass mit ihr Kommunikation kaum mehr möglich war, als sie nicht mehr sprechen konnte. Sie antwortete häufig nicht auf E-Mails, verwendete ihr Kommunikationsgerät nicht, und was sie auf Zettel schrieb, war zumeist auch sehr dürftig oder passte nicht zur Frage oder zum Inhalt des laufenden Gespräches. Sie entzog sich einfach. Auf einen einwöchigen Aufenthalt in der Spezialklinik in Ulm konnte sie sich im Frühjahr 2022 einlassen, ging dann kurze Zeit später nochmal für eine Nachuntersuchung hin, aber sagte dann alle weiteren Termine ab, so dass mein Vater und ich über ihren Gesundheitszustand ständig im Unklaren waren. Auch die Logopädie brach sie nach einigen Sitzungen ab. Das von mir bestellte Andickungsmittel für Getränke verwendete sie zum Glück. Doch sie versuchte viel zu lang feste Nahrung zu sich zu nehmen, was bedrohliche Verschluckungsanfälle zur Folge hatte. Als sie im Herbst 2022 definitiv nur noch Püriertes essen konnte, entwickelte sie den Wunsch, mit Sterbefasten aus dem Leben zu scheiden. Die Versorgung mit einer PEG-Sonde lehnte sie ab. Fünf Tage lang nahm sie weder Nahrung noch Flüssigkeit zu sich. Ich respektierte ihren Weg und organisierte Palliativdienst und Hospizdienst. Letztendlich brach sie das Sterbefasten ab, als es körperlich für sie belastend wurde, kommunizierte jedoch weiterhin, ihr Leben beenden zu wollen. Ich befand mich in ständiger Sorge und Anspannung. Dass sie wieder aß und trank, erfuhr ich nur über meinen Vater, nicht von ihr. Sie verweigerte sich jeder Antwort auf diesbezügliche Nachfragen. Vermutlich ausgelöst durch das begonnene Sterbefasten baute sie körperlich massiv ab, stürzte häufig und wirkte auch wiederholt geistig verwirrt. Im April 2023 unternahm sie einen erneuten Versuch des Sterbefastens. Wieder nahm sie fünf Tage absolut gar nichts zu sich, um danach wieder zu essen und zu trinken. Jedoch war sie hiernach noch verwirrter als zuvor, wurde körperlich aggressiv gegenüber meinem Vater und unternahm so riskante Fluchtversuche aus meinem Elternhaus, dass wir uns nicht anders zu helfen wussten, als sie ins Krankenhaus einweisen zu lassen. Da bekam sie eine Woche lang Flüssigkeitsinfusionen, wodurch sie wieder klar im Kopf wurde und auch wieder ein bisschen verständlicher schreiben konnte. Diese vorübergehende Besserung hielt einige Wochen an. Doch im August litt sie erneut an Verwirrtheitszuständen und Gehproblemen, war jedoch nicht mehr zugänglich für eine nochmalige Flüssigkeitsinfusion. Wieder stürzte sie häufig und wurde aggressiv gegenüber meinem Vater. Wir konnten ihren Zustand nicht mehr einordnen. Ich zog einen Flüssigkeits- und Nährstoffmangel, Organversagen durch das lang anhaltende Fasten sowie das Fortschreiten der ALS in Betracht. Mein Vater hatte Vermutungen in Richtung frontotemporaler Demenz, aber untersuchen lassen wollte sie sich nicht. Und meiner Ansicht nach war sie schon immer sehr eigensinnig und wenig zugänglich für konstruktive Hilfe. Letztendlich begann sie zwei Tage vor ihrem Lebensende zum dritten Mal Sterbefasten. Das Einzige, was sie noch zu sich nahm, waren die erwähnten Tabletten zusammen mit einem Löffel Joghurt.
Was nehme ich aus diesen schmerzlichen Erfahrungen mit: Sollte mich dieses Schicksal irgendwann einmal treffen, was ich natürlich nicht hoffe, mich aber natürlich dennoch immer mal wieder umtreibt, würde ich alles Erdenkliche dran setzen, in meinem eigenen Interesse und im Interesse meiner Familie die verfügbaren Hilfen anzunehmen, und falls ich das nicht kann, ernsthaft selbstbestimmt aus dem Leben zu gehen. Die Krankheit ist das eine, der Umgang damit ist aber letztendlich der entscheidende Punkt für alle Betroffenen und Angehörigen.
Vielleicht ermutigt euch unsere Geschichte, weiterhin aktiv euer Schicksal in die Hand zu nehmen, damit es nicht so wird wie bei meiner Mutter.
Viele liebe Grüße und euch weiterhin alles erdenklich Gute auf euerem Weg
Julina
nun melde ich mich nach langer Zeit mal wieder. Ich bin die Tochter einer von ALS betroffenen Mutter. Meine Mutter durfte letzten Samstag im Alter von 70 Jahren ziemlich genau zwei Jahre nach ihrer ALS-Diagnose von dieser Welt gehen. Nach dem mühsamen Schlucken einer Tablette mit Joghurt wurde sie innerhalb weniger Sekunden bleich und rührte sich nicht mehr. Die Sanitäter versuchten noch eine Reanimation, aber ohne Erfolg. So erschüttert wir alle über dieses jähe Ende sind, so dankbar sind wir auch dafür, dass es für meine Mutter ein sehr rascher Prozess war ohne offensichtlichen Kampf. Seit einem Jahr war es ihr sehnlichster Wunsch, endlich sterben zu dürfen. Nun ist sie von ihrem Körper erlöst und hoffentlich an einem schönen Ort, an dem es ihr gut geht.
Ich habe während der vergangenen zwei Jahre mit großem Interesse euere zahlreichen Beiträge gelesen und so viele wertvolle Anregungen bekommen, die meine Mutter leider nicht annehmen konnte und wollte. Deshalb habe ich mich irgendwann aus dem Forum zurückgezogen. Ich habe großen Respekt vor all denjemigen von euch, die an dieser scheußlichen Krankheit nicht verzagen, sondern weiterhin ihr Leben aktiv in die Hand nehmen und alle Möglichkeiten ausschöpfen, um sich so viel Lebensqualität wie möglich zu erhalten! Und ich möchte euch ehrlich ermutigen, auf diesem Weg zu bleiben! Das ist nicht nur für euch selbst, sondern auch für euere angehörigen von unermesslichem Wert.
Nicht nur für meine Mutter, sondern auch für meinen Vater und mich waren die letzten beiden Jahre schrecklich. Und dabei war die Verweigerungshaltung meiner Mutter weitaus belastender als die Diagnose ALS. Sie hatte die bulbäre Form, verlor 2021 die Sprache, 2022 die Fähigkeit feste Nahrung und Flüssigkeit zu sich zu nehmen, und 2023 verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand erheblich. Die Diagnose traf meine Mutter in bereits zermürbter Verfassung nach jahrelangem chronischen Kopfschmerz. Sie hatte nicht mehr die Energie, um sich mit der ALS auseinanderzusetzen. Daher mache ich ihr keinen Vorwurf, sondern schildere nur, welche Auswirkungen das hatte. Sicher konnte sie nicht anders. Das Schlimmste war für uns, dass mit ihr Kommunikation kaum mehr möglich war, als sie nicht mehr sprechen konnte. Sie antwortete häufig nicht auf E-Mails, verwendete ihr Kommunikationsgerät nicht, und was sie auf Zettel schrieb, war zumeist auch sehr dürftig oder passte nicht zur Frage oder zum Inhalt des laufenden Gespräches. Sie entzog sich einfach. Auf einen einwöchigen Aufenthalt in der Spezialklinik in Ulm konnte sie sich im Frühjahr 2022 einlassen, ging dann kurze Zeit später nochmal für eine Nachuntersuchung hin, aber sagte dann alle weiteren Termine ab, so dass mein Vater und ich über ihren Gesundheitszustand ständig im Unklaren waren. Auch die Logopädie brach sie nach einigen Sitzungen ab. Das von mir bestellte Andickungsmittel für Getränke verwendete sie zum Glück. Doch sie versuchte viel zu lang feste Nahrung zu sich zu nehmen, was bedrohliche Verschluckungsanfälle zur Folge hatte. Als sie im Herbst 2022 definitiv nur noch Püriertes essen konnte, entwickelte sie den Wunsch, mit Sterbefasten aus dem Leben zu scheiden. Die Versorgung mit einer PEG-Sonde lehnte sie ab. Fünf Tage lang nahm sie weder Nahrung noch Flüssigkeit zu sich. Ich respektierte ihren Weg und organisierte Palliativdienst und Hospizdienst. Letztendlich brach sie das Sterbefasten ab, als es körperlich für sie belastend wurde, kommunizierte jedoch weiterhin, ihr Leben beenden zu wollen. Ich befand mich in ständiger Sorge und Anspannung. Dass sie wieder aß und trank, erfuhr ich nur über meinen Vater, nicht von ihr. Sie verweigerte sich jeder Antwort auf diesbezügliche Nachfragen. Vermutlich ausgelöst durch das begonnene Sterbefasten baute sie körperlich massiv ab, stürzte häufig und wirkte auch wiederholt geistig verwirrt. Im April 2023 unternahm sie einen erneuten Versuch des Sterbefastens. Wieder nahm sie fünf Tage absolut gar nichts zu sich, um danach wieder zu essen und zu trinken. Jedoch war sie hiernach noch verwirrter als zuvor, wurde körperlich aggressiv gegenüber meinem Vater und unternahm so riskante Fluchtversuche aus meinem Elternhaus, dass wir uns nicht anders zu helfen wussten, als sie ins Krankenhaus einweisen zu lassen. Da bekam sie eine Woche lang Flüssigkeitsinfusionen, wodurch sie wieder klar im Kopf wurde und auch wieder ein bisschen verständlicher schreiben konnte. Diese vorübergehende Besserung hielt einige Wochen an. Doch im August litt sie erneut an Verwirrtheitszuständen und Gehproblemen, war jedoch nicht mehr zugänglich für eine nochmalige Flüssigkeitsinfusion. Wieder stürzte sie häufig und wurde aggressiv gegenüber meinem Vater. Wir konnten ihren Zustand nicht mehr einordnen. Ich zog einen Flüssigkeits- und Nährstoffmangel, Organversagen durch das lang anhaltende Fasten sowie das Fortschreiten der ALS in Betracht. Mein Vater hatte Vermutungen in Richtung frontotemporaler Demenz, aber untersuchen lassen wollte sie sich nicht. Und meiner Ansicht nach war sie schon immer sehr eigensinnig und wenig zugänglich für konstruktive Hilfe. Letztendlich begann sie zwei Tage vor ihrem Lebensende zum dritten Mal Sterbefasten. Das Einzige, was sie noch zu sich nahm, waren die erwähnten Tabletten zusammen mit einem Löffel Joghurt.
Was nehme ich aus diesen schmerzlichen Erfahrungen mit: Sollte mich dieses Schicksal irgendwann einmal treffen, was ich natürlich nicht hoffe, mich aber natürlich dennoch immer mal wieder umtreibt, würde ich alles Erdenkliche dran setzen, in meinem eigenen Interesse und im Interesse meiner Familie die verfügbaren Hilfen anzunehmen, und falls ich das nicht kann, ernsthaft selbstbestimmt aus dem Leben zu gehen. Die Krankheit ist das eine, der Umgang damit ist aber letztendlich der entscheidende Punkt für alle Betroffenen und Angehörigen.
Vielleicht ermutigt euch unsere Geschichte, weiterhin aktiv euer Schicksal in die Hand zu nehmen, damit es nicht so wird wie bei meiner Mutter.
Viele liebe Grüße und euch weiterhin alles erdenklich Gute auf euerem Weg
Julina
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